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Den ganz eigenen Weg für Zeiten von Trauer und Verlust finden

… nichts einfacher als das…

Ein regelmäßig auftauchendes Thema in Beratungen und im eigenen Alltag ist Trauer. Schon lange schwebte uns vor, einen Newsletter-Beitrag zum Thema Trauer in Bezug auf Verlust durch Tod zu verfassen – und noch nie fiel uns ein Thema so schwer. Noch nie brauchten wir so viele Taschentücher. Wir fragten uns zwar gelegentlich, was wir uns damit eigentlich antun, aber es blieb ein wichtiges Anliegen, dieses Thema mit der Introvisions-Lampe zu beleuchten. Der Schreibprozess an diesem Newsletter war sehr heilsam, viele persönliche Erfahrungen und Prozesse – manche sind sehr aktuell, andere liegen schon lange zurück – wurden uns wieder bewusster. Wir merken in der Praxis immer wieder: Klient*innen haben gelegentlich den Eindruck, wir können aufgrund unserer Erfahrung mit Introvision alles wegstecken, und es tut ihnen manchmal gut mitzubekommen, dass auch wir unsere Grenzen haben. Es gibt Situationen in Beratungen oder Kursen, in denen es uns wichtig erscheint, unsere Grenzen bewusst zu zeigen und spürbar zu machen, wie wir damit umgehen. Wie wir Introvision in unserem Leben brauchen und anwenden.

Von Introvision profitieren, wenn sich das Leben unwiederbringlich verändert

Wir fanden während des Schreibprozesses hier und da passende Bilder, erinnerten uns spontan an Textzeilen aus Liedern, sagten uns gegenseitig Gedichte auf, die uns aus der Seele sprachen. Uns fielen Phrasen ein, die uns nicht gut taten (Zeit heilt alle Wunden / Halt die Ohren steif / Die Hoffnung stirbt zuletzt / in stiller Trauer), obwohl sie gut gemeint waren. Immer wieder wurde uns deutlich, wie sehr wir in unseren schweren Zeiten von Introvision profitiert haben (oder hätten, wenn wir es schon zu dem Zeitpunkt gekannt hätten).

Kein Mensch gleicht einem anderen, keine Lebensumstände gleichen anderen und auch kein Trauerweg gleicht einem anderen. Dennoch gibt es einen gemeinsamen Nenner: Jeder Tod verändert das Leben unwiederbringlich, nichts ist und wird je wieder so wie vorher. Dieser Mensch fehlt fortan bei Geburtstagen, der Hochzeit, als Gesprächspartner für Sorgen, als Menschen, dem man Weihnachtsgeschenke überbringen möchte. Ihre Geburts-, Todes-, Beerdigungstage brennen sich ein, das Ablaufdatum auf einem Joghurtbecher kann einen Jahrzehnte nach dem Tod in eine ganz andere Zeit und Gefühlslage katapultieren.

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Wider dem Leistungsdruck in der Trauer: Es gibt keinen „normalen“ Prozess

Trauertheorien können helfen, das Erleben zu verstehen und einzuordnen. Wichtig ist jedoch, diese Modelle nicht als starre Schemata zu betrachten, die Trauer zu durchlaufen hat: Weder von denjenigen, die trauern noch von denjenigen, die Trauernde begleiten.

Phasenmodelle sind beispielsweise nicht so gedacht, dass jede Phase nacheinander durchlaufen wird, vielmehr überschneiden sich die Phasen im Trauerprozess, finden in anderer Reihenfolge statt, werden ausgelassen oder wiederholt. Dennoch fördern die Bezeichnungen dieser theoretischen Ansätze möglicherweise ein Schubladendenken. Dies kann zu (wie wir sie nennen) Imperierungsprozessen führen. Trauere ich richtig? Muss ich nicht schon weiter sein? Gucke ich mir die Sch%#!* intensiv genug an?

Das Phasenmodell von Kübler-Ross ist recht in Kritik geraten. Wir möchten hier trotzdem unsere Wertschätzung zum Ausdruck bringen, denn ihr Anliegen war es, Sterben und Trauerbegleitung zu humanisieren und personalisieren. Sie hat wertvolle Pionierarbeit für weitere Trauertheorien geleistet, war Begründerin der Hospizbewegung in den USA, hat Selbsthilfegruppen für Trauernde ins Leben gerufen.
Neben Phasenmodellen wurden auch andere Zugänge zu Trauer erarbeitet und erforscht, wie etwa Aufgabenmodelle, die Mischformen von Aufgaben der Trauerarbeit / -begleitung hervorheben. Die Auseinandersetzung mit theoretischen Hintergründen kann einigen Menschen Halt und Anhaltspunkte geben, andere wiederum setzt es unter Druck und bestenfalls führt dies dazu, sich von ihnen zu distanzieren und einen ganz eigenen Weg zu finden.
Uns sprach das Trauermodell von Lois Tonkin (1996) an, weil es die Last und den Druck nimmt, irgendwann mit der Trauer fertig sein zu müssen. Trauer nimmt laut Tonkin nach der Verlusterfahrung fortan einen konstanten Teil in unserem Leben ein, mal im Verhältnis zum Wahrnehmen des restlichen Lebens einen größeren, mal einen kleineren. Es kann auch Jahre später Zeiten geben, in denen die Trauer vorübergehend wieder mehr Raum einnimmt, beispielsweise zu den oben erwähnten Anlässen, an denen die entstandene Leerstelle besonders deutlich wird.

Schaubild zu Trauermodell von Lois Tonkin "Growing around Grief"
https://whatsyourgrief.com/growing-around-grief

Trauer und Introvision: Im Mittelpunkt steht das Sich-Orientieren im neuen Leben

Wir haben aus eigener Erfahrung und der Begleitung vieler Klient*innen den Eindruck gewonnen, dass Introvision eine Möglichkeit zur Bewältigung von akuten und zurückliegenden schweren Lebensphasen ist. Krankheit, Sterben und Verlust gehören zu solchen schweren Lebensphasen. Wichtig ist uns die klientenzentrierte Haltung der Introvision. Es geht nicht darum, was normal ist oder wie andere trauern. Es geht darum, was jede*n Einzelne*n bewegt, ängstigt, welche Schmerzen oder Leiden durch Verluste ausgelöst werden, was am unerträglichsten ist. Und es geht auch darum, was am besten hilft oder was nicht. Das gehen wir ohne Schablonen gemeinsam an, finden heraus, was stabilisierend wirkt. Manchmal steht der Schmerz im Vordergrund, manchmal vielleicht die gezielte Anwendung von Konfliktumgehungsstrategien, um eine Zeit des Schocks zu überstehen und etwas Zeit vergehen lassen zu können. Kein Mensch, den wir kennen, kann rund um die Uhr reflektieren, konstatieren oder trauerbewältigen (frei zitiert nach Angelika C. Wagner). Bei sich zu bleiben ist gerade dann schwer, wenn man sich selbst fremd ist – und trauernd kennt man sich vielleicht noch nicht.

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In diesen Momenten sieht das Schlimme einem ins Gesicht, ob man es nun will oder nicht. Trotzdem erkennen wir Unterschiede darin, wie wir oder unsere Klient*innen mit akuten Katastrophen umgehen. Konstatieren oder Imperien – die Gefühle sind sowieso übermächtig und schwer auszuhalten. Wenn jemand Erfahrung mit dem Konstatieren hat, kann diese Fertigkeit dafür genutzt werden, genau diese Übermächtigkeit wahrzunehmen. Das hilft dabei, um nicht innerlich davor wegzulaufen oder vor Trauerschmerz den Boden unter den Füßen zu verlieren.

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Mit der Zeit könnte es gelingen, sich absichtlich das Schmerzende dann anzuschauen, wenn es einen nicht überwältigt. Sich das Schlimme erst einmal konstatierend anzuschauen – so lange, wie es aushaltbar ist. Peu à peu kann man dort möglicherweise länger verweilen und die Aufmerksamkeit weiter stellen: Was taucht im Zusammenhang mit dem Schmerz noch auf? Dieser Prozess kann dazu beitragen, das, was zerschmettert wurde, behutsam wieder zusammenzufügen.

Den Schmerz kontaktieren und wertschätzend in das Leben integrieren

Das Verlorene und den Schmerz des Verlustes an sich in das eigene, neue Leben zu integrieren gelingt unserer Meinung nach, wenn der Schmerz konstatierend wahrgenommen werden kann. Eine schöne Analogie hierzu finden wir in der japanischen Handwerkstechnik Kintsugi. Zerbrochene Keramik wird wieder zusammengefügt, die reparierten Risse und die „Narben“ werden durch beigefügten Goldstaub sichtbar. „Kintsugi versucht nicht, die augenscheinlichen Makel der Reparatur zu verbergen, vielmehr stellt es diese durch die Verwendung von Gold- oder Silberpigmenten im Lack in den Vordergrund – und schafft so eine völlig neue Schönheit und Wertschätzung des ursprünglichen Objekts.“ (Quelle: https://www.japandigest.de/kulturerbe/geschichte/kunsthandwerk/kintsugi/)

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Wie oben erwähnt, merken wir immer wieder, dass unsere Klient*innen das Gefühl haben, wir würden womöglich durch Introvision alles aushalten und auf alle Katastrophen locker reagieren können. Dem ist nicht so. Zudem spüren wir, es entlastet den einen oder die anderen, wenn sie erfahren, wie es für uns war, als unsere Welt zusammenbrach. Denn auch wir wollten bzw. konnten manches Mal nur mit Mühe den Pinsel mit Goldstaub zum Kitten der Bruchstellen in die Händen nehmen. Wir wissen aus eigener Erfahrung, Trauerarbeit kann immens anstrengend sein.

Mit Introvision die Trauer jenseits der Worte erspüren und ergründen

Manche überwältigenden Erfahrungen sind schwer in Worte zu fassen. Sei es, weil traumatisierende Bilder zu verarbeiten sind oder die Unfassbarkeit des Todes einen verzweifeln lässt. „Die Dinge sind alle nicht so fassbar und sagbar, als man uns meistens glauben machen möchte; die meisten Ereignisse sind unsagbar, vollziehen sich in einem Raume, den nie ein Wort betreten hat“ (Rainer Maria Rilke, aus: Briefe an einen jungen Dichter, 1903).
Introvision bietet die Möglichkeit, Trauer auch jenseits der Worte zu erspüren und zu ergründen. Was macht mir emotional besonders zu schaffen? Welche Ängste oder Sorgen quälen mich? Wie spüre ich es körperlich? Wie kann ich das behalten, was ich von der Person erinnern möchte, wie kann ich das loslassen, was ich nicht unbedingt bewahren möchte? Was traue ich mich vielleicht nicht zu denken oder zu fühlen? Die Methode der Introvision KAW (Konstatierendes Aufmerksames Wahrnehmen) bietet Möglichkeiten, sich dem Schmerz ganzheitlich zu nähern. Manche Erfahrungen werden körperlich encodiert und sind über den Kopf nicht immer zugänglich. Was wir fühlen ist nicht unbedingt rational oder in Worte zu fassen, und es wallt unkontrollierbar durch uns hindurch. In der Introvision arbeiten wir zwar viel mit der Sprache, aber die ist nur eines der zur Verfügung stehenden Instrumente, um an die Gefühle heranzukommen. Es gibt unterschiedliche Zugänge, sprechbar wird es manchmal erst viel später. So können sich zum Beispiel die Sorgen während einer langen Zeit als pflegende Angehörige in chronischen körperlichen Verspannungen manifestieren oder die Erinnerung an ein traumatisches Erlebnis spontan das Empfinden einer zugeschnürten Kehle verursachen. Hier bietet die Introvision die Möglichkeit, sich den darunterlegenden Gefühlen erstmal auf körperlicher Ebene zu nähern. So arbeiten wir uns Schicht für Schicht an das heran, worum es im Kern geht. Sind die Gefühle aber bereits da und die Worte fehlen, brauchen wir den Umweg über die Sprache nicht zwingend und können direkt mit ihnen arbeiten.
Das Erleben von Trauer hat nicht immer offensichtlich etwas mit dem Verlust selbst zu tun, es kann mir ganz abwegig oder irrational vorkommen. Introvision besteht immer wieder daraus, „die Dinge so zu sehen und zu spüren, wie sie sind“ und „dem Schlimmen ins Gesicht zu sehen“. In akuten Phasen ist dies nicht alles sofort aushaltbar, aber wir sind überzeugt von der Wirksamkeit der kleinen Schritte. Gerade in der Trauer sind diese schmerzhaft und können zugleich erleichternd wirken und bereichernd sein. Wenn es uns gelingt, die Gedanken und Gefühle, die eigentlich nicht da sein sollen oder dürfen, anzuschauen und eine Weile auszuhalten, nähern wir uns behutsam, geduldig und liebevoll Schritt für Schritt dem Integrieren des Zerbrochenen in das neue Leben.